Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung
Gedenkbuch Seite 186 - 188
Kapellenstraße 40
	
	KARL
	
	
	NEIDLINGER
Mina Einstein, geb. am 6.9.1872 in Laupheim, ledig, „Haustochter“.
Deportation nach Theresienstadt am 19.8.1942, dort am 8.11.1942 umgekommen.
„An Minnele Einstein kann ich mich besser erinnern, denn immer wenn wir am Tag vor Pesach auf den Judenäckern einen Funken machten, sammelten wir Brennmaterial, damit das Chometz-Feuer recht groß wurde. Einmal hängten wir bei Minnele Einstein ein paar ihrer Fensterläden aus und warfen sie auf den Funken!“
(Erzählung Ernest Bergmann, Januar 2007)
	 
 
	
	
	
	
	ehemaligen Rabbinat,
	1940/41. 
	Links
	mit 
	Rosa
	Einstein im
	Hintergrund. 
	
	
	(Bilderkammer Museum)
	
Ob
	die
	„Heldentat“
	beim Holz
	sammeln für
	den 
	Funken
	wirklich so
	stattfand
	oder ob 
	sie
	in der 
	Erinnerung
	Ernest Bergmans
	etwas dramatisiert
	wurde, sei
	dahingestellt.
	Heute noch
	auffindbare Zeitzeugen-Erinnerungen
	an 
	alleinstehende, ältere
	Frauen, die 
	öffentlich
	nie groß in 
	Erscheinung
	traten, sind eher selten, weswegen das
	Zitat diesem
	Artikel vorangestellt
	wurde.
Mina
	Einstein
	war die
	älteste 
	Tochter
	des 
	Viehhändlers
	Moses 
	Einstein
	(1842–1926) und
	seiner
	Frau
	Hännchen
	(„Hannele“) May (1843–1903)
	aus Ichenhausen.
	Minas drei
	jüngere
	Schwestern, Bertha,
	geb. 1874,
	und 
	Fanny,
	geb. 1875,
	heirateten
	zwei Brüder
	aus 
	Traunstein und schrieben
	sich dann
	Holzer.
	Anna (geb. 1877)
	heiratete nach
	München und
	schrieb sich
	Neuburger.
	Das jüngste
	Kind, 
	der 
	einzige
	Junge, hieß
	Ludwig
	(geb. 1880),
	er 
	verstarb
	schon im
	Jahr
	1916.
	Nach
	dem frühen
	
	Tod
	der
	Mutter „Hannele“ im 
	Jahr
	1903 
	führte
	die älteste Tochter
	Mina den
	Haushalt
	weiter und
	übernahm
	ihre Rolle. Daher
	die Bezeichnung „Haustochter“,
	
	wie
	ihr 
	Status
	in 
	amtlichen
	Listen genannt
	wurde. Und
	weil
	sie zu
	Hause unentbehrlich
	war,
	kam eine
	Heirat für
	sie eigentlich
	nicht in
	Frage
	und sie
	blieb
	ledig,
	zumal auch
	Vater
	Moses das gesegnete
	Alter von
	84 Jahren erreichte. Da 
	alle
	Viehhändler auch
	Knechte angestellt hatten, ist
	es denkbar, dass
	die wirtschaftliche
	Basis der
	Familie,
	der Viehhandel,
	in den 
	20er
	Jahren in
	Eigenverantwortung
	eines Knechts
	weitergeführt wurde, auch
	nachdem
	der
	Vater 1926
	verstorben
	war.
	Ansonsten
	wird Mina 
	Einstein
	einen 
	Teil
	ihres 
	geräumigen
	Hauses vermietet
	haben, nachdem
	sie seit
	1926 allein
	darin wohnte.
	Im Jahr
	1938 wohnte
	beispielsweise eine Witwe
	Sofie Braunger
	bei ihr
	zur Miete.
	Die
	Ausgrenzung
	und 
	Entrechtung der Juden
	im 
	NS-Staat
	vollzog sich
	in vielen kleinen
	Schritten, deren
	menschenverachtende
	Brutalität sich
	aber immer
	mehr steigerte.
	Schon Ende
	1938 war es
	so 
	weit,
	dass der
	Staat
	vor 
	allem wohlhabenden
	Juden ihre
	Häuser und
	Wohnungen
	wegnahm und die
	Bewohner in
	Sammelunterkünfte
	zwangsumquartierte. Minnele Einsteins
	Haus in der
	Kapellenstraße war
	ein solches
	frühes Sammellager.
	John Bergmann
	schreibt in
	seiner
	Familienchronik
	über das
	Schicksal seiner
	Onkel und
	Tanten
	nach der 
	Pogromnacht 1938:
„Als Edwin Bergmann aus dem Konzentrationslager zurückkehrte, musste er feststellen, dass er nicht mehr in seinem Haus in der Querstraße wohnen konnte, sondern gezwungen war, mit seiner Frau und seinem Sohn Walter in die Wohnung von Minnele Einstein in die Kapellenstraße zu ziehen. Tante Emma Gideon und Clara Hofheimer folgten ihnen in das damit überbelegte Quartier. (. . .) Während sie auf ihr amerikanisches Visum wartete, verbrachte Clara Hofheimer die Hohen Heiligen Tage im September 1939 bei ihren Schwestern in der Schweiz in Winterthur. Aber sie kehrte wieder zurück nach Laupheim und fand sich erneut zwangsumquartiert in das ehemalige Rabbinat am Judenberg 2, das in ein Altersheim verwandelt war, welches sie mit mehr als 40 alten jüdischen Männern und Frauen teilen musste."
(Aus „Die Bergmanns aus Laupheim“, S. 92 f.)
	Seit dem
	4. Oktober
	1939 gehörte
	auch Mina
	Einstein zu
	den mehr als
	40 
	Personen,
	
	
	die im
	ehemaligen
	Rabbinat zusammengepfercht waren. Die 
	beiden Fotos von ihr
	entstanden
	dort. Ob es
	noch 
	irgendwelche
	Versuche
	gab, aus
	Deutschland
	heraus zu kommen, ist nicht
	bekannt. Aus
	dem Altersheim
	wurde sie mit
	der letzten
	Deportation am 19.
	August 1942
	ins KZ
	Theresienstadt
	verschleppt, wo
	sie am
	8. 
	November
	1942 den
	unmenschlichen Bedingungen erlag.
	
	Ihr Haus
	
	
	in 
	der
	Kapellenstraße
	fiel unmittelbar
	nach der
	Deportation an das
	Reich und
	wurde an
	verschiedene
	Personen
	weitervermietet.
	
	Von
	Minneles Schwestern hatte keine
	den Krieg
	überlebt: Berta
	und Fanny
	
	
	Holzer waren
	eines natürlichen Todes
	gestorben, Anna
	Neuburger ist
	ein
	weiteres Opfer des Holocaust.
	Deren Kinder konnten aber
	alle 1937/38
	rechtzeitig
	in die USA emigrieren,
	bis auf
	Berta Holzers
	Tochter
	Ilse: Sie 
	lebte
	1946 als
	Ilse 
	Schuster
	in München
	und hat
	Krieg und
	Völkermord vermutlich in
	Deutschland
	überlebt.
	Ilse 
	Schuster,
	München, Klara
	Holzer,
	Oregon, Johanna
	Strauss und Fred
	Neuburger, beide
	New 
	York,
	stellten
	1946 
	einen
	Restitutionsantrag an die
	französische Militärregierung
	in Biberach,
	um als
	rechtmäßige
	Erben das
	Haus 
	Kapellenstraße
	49 
	wieder
	zurückzubekommen. Obwohl die
	Sachlage
	völlig eindeutig war,
	dauerte es
	aufgrund der
	politischen Entwicklung in der
	Nachkriegszeit bis zur
	endgültigen
	Rückgabe des
	Hauses
	an 
	die
	vier rechtmäßigen Erben bis
	Dezember 
	1951. Danach haben
	sie 
	
	das 
	Haus
	auf dem
	freien Markt
	wohl weiterverkauft.
	
	Quellen:
	
	Restitutionsakten Staatsarchiv Sigmaringen Wü 126/2,
	
	
	Nr.
	
	
	
	21.
	
	John 
	
	H.
	Bergmann,
	Die Bergmanns
	aus 
	Laupheim,1983 (deutsch
	2006).
	
	John-Bergmann-Nachlass, 
	Leo-Baeck-Inst.
	
	
	NY,
	auf
	Mikrofilm 
	
	
	im 
	Stadtarchiv Laupheim.
	Zeitzeugenberichte
	Ernest Bergman
	(e-mails,
	mündl.).
	
	Adressbuch der Stadt
	Laupheim,
	
	
	1938.

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